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Mit Hilfe eines Fragebogens sollten Ende 2006 die Vorstellungen der Jugendlichen des EMG über Politik, ihre Politikbilder und der Grad ihrer Politisierung diagnostiziert werden. Die Beantwortung der Fragen war dabei freiwillig und anonym. Insgesamt beteiligten sich ca. 98 % der angefragten Jugendlichen der Klassenstufen 8 – 12. Bei 292 ausgefüllten Fragebögen können wir bei der Auswertung von aussagekräftigen Ergebnissen ausgehen.
Im Mittelpunkt standen Fragen zum Verhältnis der jungen Erwachsenen zur Demokratie, zu den unsere Gesellschaft prägenden Strukturen sowie dazu, in welcher Form sich die jungen Leute gegebenenfalls aktiv in die Gesellschaft einbringen und sich beteiligen. Der Fragebogen gliederte sich in Anlehnung an den der 15. Shell-Jugendstudie 2006 dabei in folgende Bereiche: - Sozialdemografische Fragen (Fragen 1 – 2) - Politikinteresse (Fragen 2 – 4) - Vertrauen in Gruppierungen und Organisationen (Fragen 5 – 19) - Verhältnis zur Politik (Fragen 20 – 26) - Vorstellung von Demokratie (Fragen 27 – 34) - Engagement (Fragen 35 – 57) - Einstellung zu unmittelbarem politischen Engagement (Fragen 58 – 64) - Meinungen zu politischen Fragen (Fragen 65 – 73) - Wertorientierung (Fragen 74 – 97) Ein bewährter Indikator ist zunächst die Selbsteinschätzung der Jugendlichen zu ihrem eigenen Interesse an Politik. Bei den Schülerinnen und Schülern unseres Gymnasiums lässt sich ein erwartetes Ergebnis feststellen. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen, also 59,8 % der Befragten bezeichnet sich als politisch uninteressiert, was zunächst mit dem Bild einer unpolitischen Jugend zu korrespondieren scheint. Zieht man jedoch die Ergebnisse anderer Jugendstudien heran, fällt auf, dass die Zahl der Politikinteressierten am EMG mit 40,2 % sogar über dem Schnitt bei anderen Umfragen liegt. Insgesamt ist wohl typisch, dass Gymnasiasten deutlich häufiger politisches Interesse artikulieren als Haupt- oder Realschüler, was nicht zuletzt darauf zurückgeführt wird, dass politisches Interesse von besser gebildeten und politisch interessierten Eltern auf ihre Kinder sozial vererbt wird.
Doch lässt sich von einem insgesamt relativ geringen Interesse von Jugendlichen an Politik auch auf eine vorhandene Distanz zur Demokratie, zu deren Institutionen und grundlegenden Regeln unserer Gesellschaft schließen ? Zunächst bestätigt das Verhältnis der Jugendlichen zu staatlichen Institutionen das bisherige Bild. Das geringste Vertrauen wird dabei den politischen Parteien entgegengebracht und auch das Vertrauen in die Bundesregierung fällt mäßig aus. Unabhängigen Institutionen wie den Gerichten oder der Polizei wird dagegen sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Auch die Zustimmungswerte bei Umwelt- und Menschenrechtsgruppen sind traditionell hoch.
Es überrascht nicht, dass auch die Werte der Indikatoren hoch ausfallen, die für eine sogenannte Politikverdrossenheit stehen wie z.B. folgende Aussage:
Doch trotz einer tendenziell distanzierten Haltung der jungen Erwachsenen zur Politik stimmt die Mehrheit der Befragten am EMG den Normen unseres demokratischen Systems zu. Grundlegende Prinzipien der parlamentarischen Demokratie wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, freie Wahlen oder Gewaltlosigkeit gelten für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler als selbstverständlich.
Wenn jedoch Konfliktkompetenz als zentrale Demokratiequalifikation gilt, fällt bei den Voten der Jugendlichen auf, dass sie Kompromissfähigkeit oder auch das Prinzip von Regierung und Opposition nicht einhellig positiv beurteilen. Das kontroverse und konkurrierende Ringen um Analysen von Problemen und Antworten scheint kaum als demokratischer Mechanismus von den jungen Erwachsenen identifiziert zu werden, vielmehr ist eine gewisse Neigung zur Harmonisierung und Konfliktleugnung festzustellen.
Auch die nicht geringe Zustimmung zu der Aussage, dass eine starke Hand mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen müsste, erscheint weniger als Wunsch nach einem autoritären Staat als vielmehr als Forderung nach mehr Klarheit, Eindeutigkeit und Konsequenz in der Politik, zumal 73,8 % der Befragten die Demokratie grundsätzlich für eine „gute Staatsform“ halten.
Immerhin sehen auch 59,1 % der Jugendlichen den Bereich „Kinder und Familie“ als wichtiges Bewährungsfeld zukünftiger Gesellschaftspolitik. Doch zeigt der Vergleich mit anderen Studien, bei denen eine noch höhere Anzahl der Befragten den Bereich Arbeitsmarkt nennt, dass die Schüler des EMG von die-sem Thema noch nicht so unmittelbar betroffen sind.
Auch dem Wunsch nach einem allgemeinen Wahlrecht bereits ab 16 Jahren stimmt mit 25,3 % nur eine Minderheit der jungen Erwachsenen zu. 54,1 % hält dieses für keine gute Idee, was darauf hindeutet, dass die Jugendlichen ihrer eigenen Generation in diesem Punkt eher weniger zutrauen. Dass die Schülerschaft des EMG in ihrer Mehrheit ein eher geringes Interesse an Politik signalisiert, sollte jedoch nicht damit gleichgesetzt werden, dass sie keine eigenen Interessen hat, für deren Verwirklichung sie sich dann auch einsetzt. Das Bild von gesellschaftlichen Aktivitäten der jungen Erwachsenen ist dabei sehr vielschichtig, sie engagieren sich in ihrer Freizeit für die unterschiedlichsten Dinge. Neben jugendbezogenen Fragestellungen wie etwa der Einsatz für die Interessen von Jugendlichen oder auch für bessere Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitgestaltung finden sich Aktivitäten für den Umwelt- und Tierschutz, aber auch für ältere Menschen sowie Menschen in armen Ländern. Typische Räume für diese Aktivitäten bilden für die Schülerinnen und Schüler des EMG die Vereine. Aber auch Kirchengemeinden (39,2 %), Gruppen in der Schule (34,3 %) Jugendorganisationen (24,2 %) sowie selbst organisierte Gruppen (22,6 %) werden genannt. Greenpeace, Amnesty International oder andere Hilfsorganisationen (10,4 %) stellen nur für einige ein Betätigungsfeld dar, während klassische politische Organisationen wie Parteien (5,6 %) oder Bürgerinitiativen (4,8 %) der jungen Generation eher marginal erscheinen.
Auffällig ist bei den Befragten des EMG, dass 52,8 % angeben, sich allein durch ihre persönliche Aktivität sozial zu verhalten. Hierbei dürfte es sich um Aktivitäten innerhalb der sozialen Bezüge der Jugendlichen handeln (Familie, Nach-barschaft, Clique). Dieses verdeutlicht, dass sich junge Menschen heute auch jenseits von organisatorischen Strukturen in geeigneten sozialen Umfeldern engagieren. Die Möglichkeiten zum unmittelbar politischen Engagement beurteilen die Befragten des EMG dagegen eher distanziert. So lehnen 58,7 % der Jugendlichen die Aussage, dass man politisch aktiv wird, „wenn ich von einem Thema betroffen bin“, ab. Andererseits gesteht eine große Mehrheit der Befragten (74,6 %) zu, dass man durch politische Betätigung Einfluss nehmen und Dinge verändern kann.
Als Hauptmotiv kristallisiert sich heraus, dass „Mitmachen in einer politischen Gruppe voraussetzt, dass man sich da auch persönlich zugehörig fühlt“, denn diesem Statement stimmen die Befragten mit großer Mehrheit zu (87,2 %). Die Distanz der Jugendlichen zur Politik kann demnach so interpretiert werden, dass sie eher von der Unzufriedenheit mit den vorfindlichen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt ist als von einer grundsätzlichen Ablehnung politischen Engagements. Neben einer Orientierung an persönlich befriedigenden sozialen Bezügen in einer festen Gruppe spielt auch der Wunsch, sich nicht sofort festlegen zu müssen (60,6 %) eine wichtige Rolle für die Bereitschaft sich zu engagieren. Dabei sollte nach Einschätzung der Jugendlichen politisches Engagement auch mit einem persönlichen Nutzen verbunden sein. Der Nutzen, der für die jungen Erwachsenen sehr vielschichtig sein und auch neue Kontakte oder persönliche Anerkennung bedeuten kann, wird in der Regel dann möglich, wenn den Jugendlichen im Rahmen ihres Engagements eigene Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten geboten werden. Die von den Schülerinnen und Schülern des EMG geäußerte Forderung, dass in der Politik mehr junge Leute was zu sagen haben sollten, verdeutlicht diese Erwartungshaltung an Politik.
Ein abschließender Blick auf die Wertorientierungen der Befragten korres-pondiert mit den bisherigen Ergebnissen. Häufige Nennungen erfahren hier einerseits soziale Nahorientierungen wie Freundschaft und Familie sowie auf der anderen Seite ein erhöhtes Streben nach persönlicher Unabhängigkeit.
Die starke Wertorientierung an sogenannten Sekundärtugenden wie Ordnung, Sicherheit, Fleiss und Ehrgeiz verdeutlicht ebenfalls, dass sich die Befragten offensichtlich mit dem Gerüst der Sekundärtugenden ganz pragmatisch einen Rahmen für ihre persönliche Entfaltung geben, um „sich in einer unübersichtlicher gewordenen Welt wieder mehr an Geregeltem, Geordneten und Begrenz-ten zu orientieren“. Das Votum dafür, sich politisch zu engagieren, fällt unter den gegebenen Voraussetzungen für die jungen Leute wieder eher distanziert aus.
Insgesamt lässt sich aus der Umfrage zu „Jugend und Politik“ am Eduard-Mö-rike-Gymnasium Neuenstadt schließen, dass obwohl die Mehrheit der Jugendlichen die Option eigener politischer Betätigung skeptisch beurteilt, sie dennoch für politisches Engagement unter spezifischen Voraussetzungen gewonnen werden kann. Entscheidend ist es, dieser sogenannten „pragmatischen Generation“ Möglichkeiten für persönlich befriedigende Aktivitäten im eigenen Umfeld mit genügend Mitwirkungs- und Gestaltungschancen zu bieten.
Michael Marker, Gemeinschaftskundelehrer |
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